Das klassische Narrativ: Wer lernt, steigt auf. Doch dieses Versprechen bröckelt.

 

 

Bildung ist kein Versprechen mehr.

 

Sie ist ein Filter. Ein Raster. Ein System, das zählt, aber nicht hält.

 

Wer rausfällt,

fällt tief.

 

Wer bleibt,

bleibt müde.

 

Wer fragt,

fragt allein.

 

 

 

I. Bildung als Aufstiegsversprechen, so wie es mal war

 

Bei Klemkes am Küchentisch: Emil, Hans, sein Sohn, und Mutter Klemke, August 1912

 

 "Wat willst du, Junge? Ick hör woll nich richtig."

 

"Aber du siehst doch wie du nach Hause kommst -

total abjeloofen; und wie mitjenommen dein Körper is."

 

"Aber Junge, die da oben sind nischt für uns - die haben von nischt 'ne Ahnung."

„Vadder, ick hatte zum Lernen nie Platz –

also hab ick uffm Klo gelesen.

Det war der einzige Ort, wo keener gestört hat.

Und irgendwie war det warm – nich von der Heizung,

sondern von Ruhe.“

 

"Ick werde erst die Prüfung machen -

es muß so viel passieren in Zukunft."

 

Mutter Klemke ist still.

 

 

 

Cecilie: „Ich will lernen, um meine Verfallszeit zu verschieben. Ich will gesehen werden.“

 

("Sie sollten es einmal besser haben."

 

 

 

Anna: „Ich will lernen, um nicht mehr fragen zu müssen.“

Celine: will eine Ausbildung machen als Altenpflegerin

 

„Sie wollten lernen. Nicht für Titel. Nicht für Geld. Sondern um da zu sein.“

 

 

Zeitzeichen:

Sie waren die erste Generation, die für sich Bildung einforderte

und in Anspruch nahm als existentielles Bedürfnis..

 

 

 

 

Das Aufstiegsversprechen wird nicht eingelöst – soziale Herkunft prägt Bildungserfolg stärker denn je.

Kinder aus privilegierten Haushalten haben bis zu ein Jahr Vorsprung in Mathe und Deutsch.

 

 

 

 

 

 

II. Bildung als Wartehalle

 

Bildung als Zwischenlösung – nicht aus Überzeugung, sondern aus Unsicherheit.

„Ich habe gelernt. Aber nicht, wohin ich gehöre.“

 

 

 

Herr Meyer und Sohn Pascal im Hof beim Auto basteln, Sommer 2025

 

„Pascal, Mutter sagt, du willst Abitur machen?“

 

„Na ja, wenn ick mich so umsehe,

erscheint dit logisch, oder?

 

Hier is alles im Fluß –

kein Mensch weeß, wat morgen is –

also denke ich – erstmal weiter Lernen.

 

Und mehr Geld als du, will ick och mal verdienen.“

 

 

„Aber meinste nicht,

daß  `nen Studium überbewertet ist – heute.“

 

„Vaddern, ick sehe nur, dass Leute wie du,

die arbeiten, am Ende für wenig Lohn rackern,

 

und wenn mir jarnischt einfällt,

 

denn geh ick erstmal zum Bund."

 

(Meyer: "Ich habe gelernt, wie man baut. Aber nicht, wie man bleibt."

 

 

 

 

 

 

 

 

„Was willst du lernen, wenn alles gelernt scheint?“

 

III. Bildung, die nicht mehr stattfindet

 

„Der Stundenplan ist voll. Aber die Stunde fehlt.“

„Ich bin da. Aber Bildung nicht.“

 

 Zeitzeichen:

Früher war Bildung ein Ort.

Jetzt ist sie ein Protokoll

 

"Warum dürfen wir nicht mitreden. Obwohl es unsere Zukunft  betrifft."

 

Was wie Provokation klingt, ist längst Statistik.

Zeitzeichen:

49 % aller Schüler:innen erleben kein offenes Feedback im Unterricht.

35 % erhalten keine oder wenig Unterstützung für selbstbestimmte Lernprozesse. (Quelle: Stiftung Bertelsmann, 2025)

 

 

 

"Ich bin Lehrerin. Aber ich lehre nicht. Ich halte nur aus."

 

"Ich bin Schüler. Aber ich bin nicht gemeint."

 

 

Szene: Lehrerzimmer, 7:38 Uhr.

 

Frau Mertens sitzt am Tisch, den Mantel noch halb über der Schulter.

Herr Klinger, der neue Kollege, legt einen Ausdruck auf den Tisch.

 

Klinger: „Ich habe den Bericht zur Lernmodul-Implementierung fertig.

Die KI hat ihn gestern Nacht geschrieben. Sehr effizient.“

 

Frau Mertens liest. Ihre Stirn bleibt glatt. Ihre Augen nicht.

 

Mertens: „Hm. Drei Phasen. Rückmeldungen dokumentiert.

Fehlerquote unter zwei Prozent. Und wo sind die Kinder?“

 

Klinger: „Die Lernfortschritte wurden anhand standardisierter Tests gemessen.“

 

Mertens: „Nein, ich meine: Wo sind sie wirklich

Wer hat gezögert? Wer hat gefragt?

Wer hat geweint, weil das Modul nicht verstanden wurde?

Wer hat gelacht, weil es plötzlich klick gemacht hat?“

 

 

Klinger schweigt. Die Kaffeemaschine zischt.

 

 

Mertens: „Ich frage nicht nach Daten. Ich frage nach Beziehung.“

 

Klinger: „Aber das war nicht Teil des Auftrags.“

 

Mertens: „Dann wünsche ich Ihnen, dass Sie irgendwann sehen, worum es hier wirklich geht.“

 

Remo fragt: „Was ist eigentlich ein Modul?“ 

Frau Mertens antwortet: „Etwas, das dich nicht kennt.“

Und dann beginnt der Unterricht wirklich.

 

 

Kommt Herr Klinger damit durch? Vielleicht auf dem Papier.

Vielleicht im Ministerium. Vielleicht im nächsten Audit.

Aber nicht bei Frau Mertens. Nicht bei den Kindern. Nicht bei dir.

W e c k r u f:

 

„Mein Vater war Schlosser. Ich bin Verkäuferin. Mein Sohn ist raus. Nicht aus Trotz. Sondern weil keiner mehr sagt, wo’s langgeht.“

Oder:

„Früher war Bildung ein Versprechen. Heute ist sie ein Filter. Und wer durchfällt, wählt nicht mehr Zukunft. Sondern Wut.“

 

 

(Ich bin weitergekommen. Aber ich weiß nicht, woher ich kam.)

 

 

Z W I S C H E N R UF:

 

Vielleicht ist die eigentliche Frage:

Wer darf überhaupt noch fragen? Denn die Orte, an denen Orientierung entstehen könnte – Schule, Medien, Politik – sind oft überformt von Eigeninteressen, PR-Strategien, und Angst vor Komplexität. Was fehlt, ist ein Raum, in dem Fragen nicht als Schwäche gelten, sondern als Anfang.

Was wäre ein solcher Ort?

Nicht die Talkshow. Nicht das Parteiprogramm. Ein Raum, in dem Stimmen nebeneinander stehen dürfen. Wo Cecilie, Celine, Pascal, Trude und Elsbeth nicht geglättet werden, sondern gehört. Wo Splittertexte nicht nur poetisch sind, sondern politisch – weil sie zeigen, was fehlt.

Wenn weder Arbeit noch Bildung mehr zählen, wohin dann mit dem Ich?

 

 

 

 

 

 

Sie sagen, sie zerreißen sich. Aber wir sind es, die auseinanderfallen. Sie reden über uns. Aber nicht mit uns. Sie wissen, was wir brauchen. Aber nicht, was wir fragen.“