Zwischen Pflicht und Atem"
"Dies ist kein Traum.
Aber auch keine Szene.
Er ist ein Ton, der sich nicht verorten lässt.
Und doch gehört er zu Emil. Und zur Tragik der heutigen Zeit.
"Das Geld wärmt nicht. Es ist der Ersatz für das, worauf er verzichten soll."
Szene: Spreeseitenarm, früher Nachmittag.
Ein leichter Wind kräuselt das Wasser. Emil sitzt auf einem umgedrehten Farbeimer, die Angelrute locker in der Hand. Der 60-Stunden-Mann kommt von der anderen Seite, mit einem Coffee-to-go und einem Blick, der nicht weiß, wohin.
Emil (spricht nicht sofort, sondern zieht die Angel leicht an) „Die beißen nicht, wenn man zu viel denkt.“
60-Stunden-Mann (bleibt stehen, schaut aufs Wasser) „Ich denk nicht. Ich zähl.“
Emil „Stunden?“
60-Stunden-Mann „Und Minuten. Und wie oft ich mir sage: Noch durchhalten.“
Emil „Mein Vater hat nie gezählt. Der hat einfach gemacht. Und wir haben geschwiegen.“
60-Stunden-Mann „Meiner hat gezählt. Aber nie gesagt, wofür.“
(Pause. Wind. Ein Vogel ruft.)
Emil „Ich hab ihn mal gefragt, ob er glücklich war. Da hat er gesagt: 'Ich hab euch durchgebracht.'“
60-Stunden-Mann „Und das war dann genug?“
Emil „Für ihn. Für mich nicht.“
60-Stunden-Mann „Ich weiß nicht, ob ich überhaupt jemand durchbringe. Ich bring mich ja kaum selber durch.“
(Sie schweigen. Die Angel bewegt sich leicht. Emil zieht sie ein, leer.)
Emil „Manchmal denk ich, wir haben das Funktionieren geerbt. Aber nicht die Erlaubnis, zu atmen.“
60-Stunden-Mann „Und wenn wir sie uns nehmen?“
Emil „Dann müssen wir lernen, was wir sind. Ohne Pflicht. Ohne Titel.“
(Pause. Der 60-Stunden-Mann setzt sich auf einen Stein. Beide schauen aufs Wasser.)