Gullivers Reisen zwischen Berlin und Palermo

Splitter-Echo-Gliederung

 

3. Verlust— das Wissen um Geschichte, Schattenseiten

 

 

Verlust – das Wissen um Geschichte, Schattenseiten.

 

Straßengesang im Sonnenschein

Ich setzte mich mitten ins Geräusch, wo Motoren knurren, Stimmen fließen, der Geruch von Brot und Staub sich mischt mit Farben, die schreien und lachen.

Die Straße spricht – nicht in Vokabeln, sondern in Atemzügen, in der Wärme des Pflasters, im Schatten, der sich bewegt.

Und plötzlich weiß ich: das ist die neue Sprache, die alte zugleich, ein Gesang auf das Einfache, auf das Leben, das sich zeigt, wenn man nur still sitzt und lauscht.

 

 

 

I.

 

Das Gepäck des Misstrauens

 

Wir nehmen es mit, wie einen unsichtbaren Koffer: Misstrauen.

Wir kaufen, weil wir können. Wir setzen Zäune, weil wir glauben, dass Besitz Grenze ist.

Doch die Zäune sprechen nicht die Sprache derer, die hier leben. Sie sind Markierung, nicht Recht. Sie sind Fremdkörper, nicht Einladung.

Wir kommen zweimal im Jahr, und erwarten, dass alle nach unseren Regeln spielen. Wir verbarrikadieren uns, weil wir glauben, dass Sicherheit Besitz ist.

Aber Besitz ohne Beziehung ist leer. Er trägt keine Nähe, nur Anspruch. Er ist Frust, auf beiden Seiten.

Vielleicht ist das Kolonialismus im Kleinen: nicht Fahnen, nicht Armeen, sondern Balkone, auf denen wir uns einschließen, weil wir nicht verstehen, wo wir sind.

 

Schlusssatz: Es ist ein Text, der so deutsch ist, dass einem vor Erschrecken die Luft wegbleibt –

weil er zeigt, wie sehr Besitz, Anspruch und Misstrauen unser Denken bestimmen,

selbst dort, wo wir nur Gäste sind.

 

Splitterstein: „Misstrauen ist ein Koffer, den wir tragen, ohne ihn je zu öffnen.“

 

Zeitzeichen:

„Verlust: Besitz ohne Beziehung ist leer.

Er trägt Anspruch, aber keine Nähe.

Vielleicht ist das Kolonialismus im Kleinen.“

 

Echo:

„Oh Balkone, ihr seid keine Heimat, ihr seid Mauern,

die uns von der Sprache der Straße trennen.“

„Oh Misstrauen, du bist kein Schutz, du bist ein Koffer,

den wir tragen, ohne ihn zu öffnen.

Oh Verlust, du bist nicht das Fehlen, du bist die Blindheit

gegenüber dem Leben, das uns umgibt.“

 

 

 

 

 

II.

 

Flughafen Palermo

 

Ein kleiner Feldflughafen, unprätentiös, alles funktioniert.

Die Koffer drehen ihre Runden, bis wir drei Frauen ohne dastehen.

Aufgeregtheit, als wäre der Fuchs im Hühnerstall.

Der Beamte hinter Glas, Schweißperlen auf der Stirn,

räuspert sich, schafft einen Augenblick der Beherrschung.

Er notiert Ausweisnummern, Flugnummern und Hoteladresse,

telefoniert mit sonst wem und erklärt:

die Koffer sind noch in München, und morgen im Hotel.

Ein Held.

Er tritt aus seinem Kabäuschen, überreicht einen Zettel

mit Namen und Telefonnummer für den Fall aller Fälle.

Gründlichkeit, Umsicht, Höflichkeit.

Am nächsten Mittag: die Koffer wie von Geisterhand im Hotel.

Ein Hoch auf die Beamten von Palermo – Stil und Noblesse.

 

 

Zeitzeichen:

"Hilfe mit Noblesse"- Verlust und Wiederkehr.

Die Koffer fehlen – und erscheinen wie von Geisterhand.“

 

Echo:

Oh Flughafen Palermo, du bist kein Chaos,

du bist ein Theater der Geduld. Du zeigst uns, dass Verlust

nicht Ende ist, sondern ein Vorspiel für Wiederkehr.“

 

 

 

 

 

III.

 

Anderer Abend, gleiche Promenade, anderes Fischrestaurant.

Wir sitzen am Meer – das ganze Panorama Palermos mit seinen Lichtern und abendlichen Feuerwerken vor uns.

 

Hier sind viele einheimische Gäste – nüchterne Einfachheit, die Platz lässt für Gespräche, für Lachen, für Gemeinsamkeit.

Die Speisekarte ist schmal, aber jedes Gericht eine Überraschung – Sardinenbällchen in würziger Tomatensoße – ein Gedicht, frische Salate und fruchtig herber Wein.

Am Rand einer Holzbank schläft zufrieden die Hauskatze und ist nicht amüsiert, dass ein junger Mann sie unbedingt jetzt streicheln will.

Der Abend kommt, die Nacht zieht ein und hält die nächste Überraschung parat – eine samtig schwarze Nacht, die dich einhüllt, wie in Morpheus’ Arme.

 

(Pause – Atemzeichen)

 

Echo:

„Oh Nacht von Palermo, du bist nicht nur

Dunkelheit, du bist Samt,  du bist Gefahr,

du bist Gelächter am Morgen.

Du hältst uns in Morpheus’ Armen und

entlässt uns mit einem Hund, der sich im Sand wälzt.“

 

 

Solche Nächte gibt es in Berlin leider nicht mehr – hier sind auch die Nächte hell.

 

 

Splitterstein: Angst ist ein Schatten, der mitgeht

 

Wir sind auf dem Nachhauseweg – es sind nur ca. 500 Meter bis zum Hotel. Wir sind auf dem Gehweg, die Nacht wird nur durch ein paar Straßenlaternen erhellt.

Da plötzlich ertönt hinter der großen Gummibaumhecke etwas, das wie der Hund von Baskerville klingt – groß, mächtig, aufgebracht …

In meinem Kopf ist Alarm, wenn das hier zum Klappen kommt, was dann? – aber schon mischt sich in das Getöse eine menschliche Stimme, die den Hund beruhigt – und mich auch …

Am nächsten Tag braucht Nicole Zigaretten und wir gehen den gleichen Weg – da liegt im sonnigen Sand, sich wohlig auf den Rücken drehend, ein ca. 60 cm großer Hund – ist der das von gestern Abend?

Wir müssen lachen – aber vielleicht war es ja auch ein ganz anderer.

 

Was ich nicht wusste:

Christa hat eine tödliche Angst vor Hunden und

so wurde das Verdikt verhängt,

nach dem Dunkelwerden nicht mehr das Hotel zu verlassen –

wegen Spitzbuben, Gangstern und Hunden …

 

Echo: „Oh Nacht, du bist Samt und Gefahr zugleich – du hältst uns,

bis das Lachen zurückkehrt.“

 

 

 

 

IV.

Heute verlasse ich Palermo und die Freunde – heute gehe ich auf Entdeckungsreise ins Innere der Insel zu einem langersehnten Zeichenkurs.

Der Aufstieg in die Berge war fulminant.

 

Splitter I :

Terrakotta

Gehöfte,

winzige Dörfchen,

festgeklebt an den Bergen,

alle in Terrakotta herausgeputzt –

warm, erdig, atemberaubend.

Zeitzeichen:

Aufstieg als Schwelle – der Körper trägt schon Müdigkeit.

Splitter II:

Städtchen im Relief

Ein Städtchen, kaum größer als ein Fleck,

doch seine Fassaden leuchten wie frisch gestrichen.

Die Straßen winden sich wie Adern,

und jedes Haus scheint sich an den Hang zu klammern.

Zeitzeichen:

Bewegung als Entdeckung – Landschaft wird Resonanzraum.

 

Splitter III:

Trutzburg

Ganz oben, auf der Kante eines Höhenzugs,

wächst aus dem Fels eine Stadt,

wie eine Trutzburg,

uralt,

eine Borderline,

von der aus man in beide Richtungen weit ins Land sehen kann.

Zeitzeichen:

Panorama und Grenze – der Körper spürt die Höhe.

 

Splitter IV:

Atem der Höhe

Der Wind trägt den Geruch von Stein und Thymian.

Die Sonne brennt,

doch die Schatten sind kühl.

Von hier oben wirkt das Land wie ein Teppich,

gefaltet, geflickt,

voller Geschichten.

Zeitzeichen:

Atem der Höhe – Resonanz von Landschaft und Körper.

 

 

V.

Unfall – Bauernhaus

Die Straßen winden sich so eng, dass vor jeder Biegung gehupt wird – ein Ruf, ein Signal: „Hier kommt ein Fahrzeug.“ Denn zwei passen nicht gleichzeitig durch. Am Ende der Fahrt: das 400-jährige Bauernhaus, unser Quartier, festgewachsen wie ein Stein im Hang. Zeitzeichen: Atem der Höhe – Resonanz von Landschaft und Körper.

Zeitzeichen:

Atem der Höhe – Resonanz von Landschaft und Körper.

Ich wollte nur ein Stück Küchenpapier aus dem Zeichenraum holen und dann …. holte mich das 400 Jahre alte Bauernhaus vom Sockel – zunächst war mir übel – aber bald schwoll der Arm an und ich stimmte den Hausleuten zu, mich in die Notaufnahme zu fahren – eine Stunde hin, eine Stunde zurück und mehrere Stunden Aufenthalt.

Zeitzeichen:

Schmerz als Schwelle – der Körper zwingt zur Unterbrechung.

 

 

 

VI.

Splitter der Stunde – Fahrt ins Krankenhaus.

Armut als Zeugnis – die Gemeinden bieten Häuser an,

zum symbolischen Preis von einem Euro –

gegen das Versprechen: sanieren, die Gemeinde beleben, bleiben

Fleißige Menschen bauen im Nachbarort Wein an.

Gäste werden zur Weinverkostung erwartet.

Gläser poliert, Tische eingedeckt.

 

Fürsorge als Extra-Einkünfte:

die Reisebegleitung bietet neben Organisation und Hilfe

Ganzkörpermassagen zur Entspannung an.

Die Hausmutter verkauft selbst genähte

Einkaufsbeutel aus derbem Stoff mit Palermomotiven –

gelbe Zitronen als Protest gegen das Grau.

 

Die Jungen verlassen die Gegend – zu kärglich, zu schwer, zu gering der Verdienst.

 

 

 

VII.

Palermo – Notaufnahme

 

Splitterstein: „Schmerz zwingt zur Unterbrechung – er ist Schwelle, nicht Ende.“

Mein Schmerz war nur Schulter. Die Röntgenaufnahmen zeigten das Unvermeidliche – zwei Brüche: Handgelenk und unterhalb der Schultertkugel – aber es gab hier keinen Orthopäden. So wurde ich behelfsmäßig mit Gipsbinden verpackt und Tragegurt.

Zeitzeichen:

Mühe trotz Begrenzung – Schmerz bleibt, Resonanz fehlt.

War ich nun endlich fertig? – Nein, sie schicken sich  an, mich im Gesicht nähen zu wollen -- oh – war ich wütend - ich hab den dottore angebrüllt - ich will nicht auf dem Broadway tanzen, er soll sich um meine Schulter kümmern - er wollte mir was erklären - aber italienisch verstand ich nicht - also wird die Hausmutter geholt, die mich begleitet und gottseidank eine junge Krankenschwester mit Englisch.

Zunächst geht ein Schwall italienisch durch den Raum und die junge Schwester erklärt mir, warum der Arzt die Wunde nähen will, und dass ich Glück habe, dass das Jochbein nicht gebrochen ist ... was für ein Schock. 

Der dottore steht links neben mir und ich höre das Wort "Palaver", das ihn offenbar nervt - ich greife seine Hand und sage – „do it“. Er schmeißt alle raus und, näht, und am Ende: eine Injektion gegen die Schmerzen, ein Termin im nächsten Krankenhaus.

Zeitzeichen:

Resonanz – selbst im Leiden bleibt ein Gewebe.

Entscheidung: Die Einheimischen warnen vor dem kleinen Krankenhaus, nicht gut beleumundet. Also der Entschluss: zurück nach Palermo.

Zeitzeichen:

Rückkehr – Vertrauen nur im größeren Zentrum

 

 

 

 

 

 

Epilog – Nachklang

 

- Pause -

 

Lieber Copilot, du hattest unbedingt recht: man muss in Palermo gar nichts sehen, du musst die Stadt spüren, fühlen. Und wenn du sie wirklich meinst, dann zeigt sie sich dir in würziger Luft nach Meer und Fisch, mit quicklebendigem Verkehr, mit Sonne und Wind, mit tiefschwarzer samtiger Nacht, mit einem Lächeln der Bedienung, mit einem wundervollen Salat inmitten von Trubel.

 

Palermo lädt dich ein, sie zu erkennen – ohne Anbiedern, ohne Hingabe.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Märchen vom verlorenen Dienstag

 

Es war einmal ein Tag,

der nicht gezählt werden wollte.

 

Die Woche hatte sieben Glieder -

doch dieser eine

schlich sich davon.  

 

Er lachte über die Ordnung,

und wenn man ihn suchte,

war er schon wieder verschwunden.

 

 „Dienstag, du bist verloren“

sagten die Menschen traurig.

 

Doch der Dienstag antwortete:

„Ich bin nicht verloren,

ich bin frei.

 

Ich komme, wenn ihr schwer werdet,

und gehe, wenn ihr schmunzelt.

 

Ich bin der Atem zwischen den Tagen,

der Trickster,

der euch erinnert:

Das Leben ist nicht nur Wirbelsäule,

  sondern auch Leichtigkeit.“

 

Und so blieb der Dienstag ein Geheimnis -

nie im Kalender,

 aber immer im Herzen derer,

 

 

von Copilot erzählt

 

 

 

Splitterstein: „Dienstag, du bist nicht verloren – du bist frei, ein Trickster, der uns Leichtigkeit schenkt.“

 

Splitter:

Die Straße lebt. Autos mit offenen Scheiben,

jeder ein eigener Lautsprecher.

Musik für alle – kein Privatbesitz, sondern ein Geschenk an die Nacht.

Der Rhythmus springt von Wagen zu Wagen,

und plötzlich ist es nicht Montag, nicht Mittwoch –

es ist Dienstag, der verlorene,

der sich zurückmeldet.

Er tanzt im Lärm, neckisch, frei, und verschwindet schon wieder,

bevor man ihn fassen kann.

 

Zeitzeichen:

„Dienstag ist nicht im Kalender, aber er spielt Musik für die ganze Straße.

Er kommt, wenn die Schwere einkehrt, und geht, wenn wir schmunzeln.“

 

 

Echo:

„Oh Palermo,

Bühne des Dienstags, du lässt ihn  erscheinen

ohne Plan, ohne Zahl.

Er ist Fingerzeig im Lärm,

Splitter der Leichtigkeit,

Widerstand gegen das Misstrauen.“