"Die Hoffnung auf eine Gesellschaft, die nicht nur duldet, sondern ermöglicht..." 

und was bleibt, wenn sie nicht mehr spricht?"

 

"Die Wäsche hängt. Aber der Schwefel liegt noch in der Luft."

 Frau Klemke

Ort; Berlin Prenzlauer Berg 1904,

3. Hinterhof, 3. Stock

   Die Klemke hängt die Wäsche auf im Hof:

 

Die Kinder schreien,

die Wäsche tropft –

aus dem Radio

gegenüber dröhnt

die „Wacht am Rhein" – 

es braust ein Ruf wie Donnerhall….“ 

 

Die Müllern ist auch schon wach.

Man hört’s nicht, man merkt’s.

Fenster auf,

Blick runter,

als wär der Hof ihr Wohnzimmer.

 

„Wenn die wieder meckert

wegen dem Ball,

dann knallt’s“,

murmelt einer unten.

Aber keiner sagt’s laut.

 

„lieb Vaterland, magst ruhig sein …“ – 

 

Klemke sieht ihre Kinder

und denkt plötzlich:

„Wat soll dit nur mal werden …

die reden schon wieder

über Flottenbau und Kolonien.

 

Und ich weeß noch nich

wovon ick am ersten die Miete bezahl.

 

 

 

Die Uhr tickt nicht,

aber alles hat seinen Takt.

 

 

 

 

Klemkes Küche, abends:

Emil, Nachbar, ältester Sohn,  Mutter Klemke – Freitag Abend 27.5.1905

 

Auf dem Tisch:

Brot, saure Gurken,

eine Zeitung mit Schlagzeilen

über die SPD.

 

 

Emil: "Die einen wollen Revolution,

die anderen Verwaltung.“

 

Sohn: "Sie reden von Freiheit,

aber streiten wie die Pfaffen.“

 

Nachbar: „Bernstein sagt,

wir sollen geduldig sein.“

 

Emil: „Geduldig?

Bis die Kinder marschieren müssen?“

 

Sohn: „Luxemburg will den Umsturz.“

 

Emil: „Die SPD zerlegt sich selbst

bei jeder Debatte – und raus kommt nischt.“

 

 

Nachbar: „Liebknecht hör ick, ja –

aber bei die andern dreh ick glei ab!“

 

 

Sohn: „Und während sie streiten,

rüstet das Reich auf.“

 

 

Emil:  Die Idee vom Volksstaat

klingt wunderbar,

aber wenn sie zerbröselt,

dann wird sie fallen.

 

 

(Klemke leise:)

„Und wer räumt dann die Scherben weg?

Ich?“

 

 

Zeitzeichen:

Mutter Klemke ist Emils Frau,

sie ist die Bewahrerin und Aushalterin der Struktur.

Kampf und Abgrenzung nach Außen  auf der Straße, im Hof,

aber auch nach Innen,

sie organisiert den Alltag

und wenn es dünne wird mit dem Budget,

dann organisiert sie noch einen Tag-Schläfer in die Familie.

 

 

 

Zeitzeichen:

Der Volksstaat war nie ein fertiger Bauplan – sondern ein Versprechen, das sich immer wieder neu erfinden musste.“

Der Begriff tauchte prominent im Umfeld der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) auf, besonders in der Zeitung Der Volksstaat, die ab 1869 erschien. Er war kein klar umrissener Staatsentwurf, sondern ein Projektionsraum:

Ein Staat ohne Klassenherrschaft

Mit allgemeinem, gleichen Wahlrecht

Mit sozialer Absicherung und Mitbestimmung

Ohne monarchische Willkür

: Was bleibt von dieser Idee heute?

 

 

 

 

 

 

 

Frau Meyer - 

Ort: Berliner Stadtrand Neubauviertel 12. Stock, 2025

 

„Wenn ich morgens aufstehe,

ist die Stadt schon wach.

Aber keiner fragt,

wie ich geschlafen habe.“

 

Zwei Kinder,

zwei Brotdosen,

zwei vergessene Sportbeutel.

 

Frau Meyer geht um acht in den Backshop.

Halbtags,

aber voll belastet.

Die Brötchen sind warm,

die Kundschaft kühl. 

 

Sie lächelt,

weil das Lächeln weniger kostet als

Widerworte.

 

Auch wenn sie manchmal denkt:

"Jeht's noch!"

 

"Ich verkauf Brötchen,

aber ich sehe jeden Tag,

wie die Republik bröckelt -

nicht in Schlagzeilen,

sondern in Gesichtern."

 

 

 

Frau Meyer ist Ehefrau von Herrn Meyer.

Sie arbeitet halbtags wegen der Kinder –

sie füllt die Familienkasse auf,

weil der Mindestlohn ihres Mannes

weder hinten noch vorne reicht.

Sie versucht es allen recht zu machen –

eine Kunst, die niemand kann.

Sie hat in diesem System

die schlechtesten Karten -

ihre Rente ist keineswegs sicher.

 

 

 Junge Mutter 

Ort: Berlin Prenzlauer Berg Kinderspielplatz, Sommer 2025

 

 

Eine junge Frau steht

neben ihrem Steppke

mit neuem Schmiss am Knie –

zu wenig Erzieher.

 

Er will noch toben,

sie will nach Hause.

 

Wat machen die'n da?

Sie hat noch viel vor:

Haushalt, Abendbrot, Bett

 

und dann vielleicht fünf Stunden Schlaf für sich.

 

Morgen steigt sie wieder in den Ring.

 

Die junge Frau,

Anfang zwanzig.

Ihr Sohn, drei oder vier,

 

mit frischem Schmiss am Knie –

 

zu viele Kinder,

 

zu wenig Erzieher.

Kein Studium.

Kein ein Aufstieg.

Kein Backup.

 

Aber jeden Tag steigt sie in den Ring.

 

Für ihn.

 

Für sich.

 

Für ein Leben,

das nie ganz reichen wird.

 

 

Die übersehene Tapferkeit.

Diese Frau ist nicht Teil einer politischen Debatte –

 Und die Realität fragt nicht nach Bildungsgrad,

sondern nach Belastbarkeit.

Sie fragt nicht nach Karrierechancen,

sondern nach Schlafstunden.

Sie fragt nicht nach Systemvertrauen,

sondern nach dem Mut, trotzdem weiterzumachen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Traumgespräch über Zeit und Hingabe

 

 Ich: "Ich habe euch geträumt. Warum?

Beim Wandern durch die letzten 100 Jahre, fielen mir viele Veränderungen auf, in den Rollenbildern, die die Zeit für euch prägte. aber ich entdeckte auch Leerstellen - etwas, das heute fehlt."  

 

 

 

Ich: "Martha, du hattest dich entschieden, bei einer Herrschaft zu dienen. wie kam es dazu?"

Martha: "ich war 14 und kam aus einer großen Familie - wir waren 10 Kinder zu Hause. Mein Vater suchte für mich eine Stelle als Küchenhilfe. Ich hatte unheimliche Angst vor fremden Leuten. Aber die Großmamsell hatte die Küche unter sich, und sie nahm mich unter ihre Fittiche.

Der Alltag war hart - von um 5 Uhr morgens bis abends und manchmal auch bis spät in die Nacht. Die Herrschaft war friedlich, weil wir unser Bestes gaben. 

Und sie behielten mich - ich bin jetzt schon 20 Jahre dort."

Ich: "Hattest du nie den Wunsch zu gehen?"

Martha: "Wo sollte ich denn hin - es ist doch so was wie mein zu Hause.

Ich diene meiner Herrschaft mit allem, was ich in der Küche gelernt habe - vom heißen Kakao für die Kinder bis zum perfekten Schweinsbraten, den der Herr so liebt. - das ist wie meine Familie ....

 

 

Marthe: "Gelobt sei der Herr- in Ewigkeit ...."

Martina würde jetzt am liebsten das Rezept erfragen, Monique ist völlig genervt von den alten Kamellen, Monika denkt an das viele Personal in der Küche der Herrschaft, wo sie doch immer ganz allein steht - und ich hätte jetzt Lust auf einen heißem Kakao. --- 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 In die entstandene Stille mischte sich die Stimme von Martina – wie von selbst:

„Ich habe sehr früh geheiratet. Mein Mann hat gut verdient,

also war es abgemacht, dass wir dem traditionellen Rollenbild der Ehe folgen würden.

Ich bleibe zu Hause für die Kinder und er verdient das Geld.

Aber die Zeiten änderten sich.

 

"kann mir mal jemand erklären,

warum ich immer friere?"

(Niemand antwortet. Die Frage bleibt im Raum.)

 

 

Er zog ein Zusammensein mit seiner Sekretärin unserem Familienleben vor,

und ich stand über Nacht mit zwei Kindern und ohne Beruf da.

Da hilft dir dann irgendwann auch kein Trost mehr von der besten Freundin.

Ich  hatte einfach Glück. –

Eine Wäscherei suchte Mitarbeiter.

Ich bewarb mich und die Chefin nahm mich – wohlwissend um meine Situation.

Sie und ich legten die Arbeitspläne so, dass sie für mich möglich waren-

… dass sich überhaupt jemand außer mir mit dem Thema beschäftigte,

war ein verblüffend großes Glück.

Ich kam endlich auf eigene Beine.

Meinen beiden Jungs gings gut in der Zeit – die Mama war da,

wann immer sie sie brauchten.

Inzwischen ist die Chefin Rentnerin und ich führe ihre Wäscherei weiter.

Darauf bin ich stolz. ... "Ich werde dieser Frau ewig dankbar sein.“

 

 

Monika denkt, solche Chefs sind scheinbar ausgestorben – ich kenne nur Zeitdruck – entweder von Arbeit oder vom Kindergarten, weil verkürzte Betreuungszeiten angeschlagen sind – so wie heute Morgen. Ich muss also wieder einen meiner Freunde bitten, Isabell rechtzeitig abzuholen.“

Martha denkt, solche Hektik kannten wir nicht. „Für die Kinder gab es Ammen und Hauslehrer und manchmal tobten sie im Übermut auch durch die Küche. Aber es waren immer viele Hände da, die aushalfen, auch wenn die Herrin krank wurde.“

„Das Elend will ich mir nicht antun. Warum bin ich eigentlich hier … sinniert Monique und Marthe betet leise zu Gott für Martina und die anderen.

Ich? – ich war ganz still, um Martina zu ehren wegen ihrer Stärke und ihrer Unerschrockenheit. Denn  der Osten war anders - meine Mutter ging arbeiten, dass Anschaffungen nach dem Krieg überhaupt möglich waren, und sie hätte den Teufel getan, ihren Mann um Geld zu bitte für ein paar neue Strümpfe .... Geldverdienen war gemeinsame Verantwortung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Monika: „Also für mich war das immer klar, dass ich mein eigenes Geld verdienen will.

Deshalb machte ich eine Ausbildung zur Verkäuferin. Die Lehrzeit war toll – die Mauer gerade gefallen und alles neu.

Wir freuten uns über die Warenfülle und glaubten uns im Schlaraffenland

. Aber bald war klar, die neue Welt hatte einen Preis, und der hieß überwiegend Zeit.

Ich war inzwischen verheiratet und hatte eine kleine Tochter.

Die Öffnungszeiten verlängerten sich in den Supermärkten und Einkaufstempeln.

Wer will da schon immer Spätschichten schieben,

damit ich mein Kind noch vor dem zu Bett gehen  -  sehe.

 

 

"Als Kind hatte ich immer warme Füße,

irgendeine Tante strickte warme Socken."

("ich wusste nicht, dass das Liebe war.")

.

Mein Mann ist Busfahrer, da sieht es mit den Arbeitszeiten auch nicht anders aus.

Ich muss ehrlich sagen, wenn unsere Oma nicht dicht bei uns gewohnt hätte,

ich wüsste gar nicht, wie das anders gegangen wäre.

"Jetzt gibt's ja einen Anspruch auf einen Kitaplatz –

auf dem Papier mit Öffnungszeiten, wie aus der Zeit gefallen.

Und außerdem ist mein Job vielleicht bald passè –

Kundenkontakt - Fehlanzeige – 

macht dann alles KI –

schöne neue Welt.“

 

 

 

 

Martha ist verstört: “worüber reden sie? Was meinen sie mit KI?“

Martina findet, dass sie es aus Zufall gut getroffen hat, wenn sie hört, wie es den Frauen nach ihr geht …

Monique findet inzwischen Interesse an Marthe, an diesem stillen ruhig lächelnden Gesicht, 

das so in sich ruht, in dem kein Zweifel wohnt – nur helle Zuversicht

 

.

Und ich? Ich sinniere darüber was „Zeit haben“ bedeutet. Wir haben uns immer über Arbeit definiert, nicht mal mit dem Gedanken an Karriere, sondern wir wollten unsere Arbeit gut machen, und waren bereit, dafür Überstunden zu schieben, ob bezahlt oder nicht – wir wollten für unser Produkt verantwortlich sein.

 

 

 

 

Liegt da der Riss zwischen Arbeit und Zeit?

Versteckt sich da die Tragödie,

die Tausende in den Burn out treibt?

Warum fühlen wir Verantwortung für das Produkt?

Besitzen wir die Produktionsstätten?

Sind wir Eigner unserer Arbeit?  -- 

 

 

 

 

 

 

Monique: „ Ich schau Sie schon länger an. Sie strahlen so eine große Ruhe und Freundlichkeit aus. Wie machen Sie das?“

 

 

 

 

"Bei meiner Großmutter gab es noch Bratäpfel aus der Ofenröhre,

der Geruch ist weg ..."

("Heute, hier ist er wieder da.")

 

 

 

 

Marthe: „Wissen Sie, ich bin mit mir und meinem Leben im Reinen und das sehen Sie vielleicht.

Sie schauen mich so fragend an? – Ich habe, als ich damals so jung war, wie Sie heute,

in einem der wenigen Bibelhäuser eine Ausbildung als Krankenschwester absolviert.

Ich kam aus einer sehr armen Familie und dies war meine einzige Chance.

Ich habe beim Abschluss der Ausbildung mein irdisches leben aufgegeben und mich in den Glauben und den Dienst Jesu gestellt. – Sie wollen mich etwas fragen?“

 

 

 

Monique: „ich bin nicht religiös und ich glaube nicht an irgend etwas- - aber was macht Sie so ruhig, so selbst gewiss?

 

Marthe: „Ich lebe meinen Beruf mit Freude und Hingabe, dafür verzichte ich auf ein privates Glück, wenn Sie das meinen. Ich bin gebunden an mein Wort zu Jesus Christus …

 

Monique: „Jetzt hören Sie doch auf mit diesem Unsinn. Sie wissen nichts vom Leben,

von seinen Abgründen, von seinem Ekel gegen die täglichen Intrigen,

dass sie am liebsten aussteigen möchten aus allem,

trotz bester Karrierechancen – Sie und ihr lieber Gott.

 

 

Marthe: „Entschuldigung, wenn Sie jeden Tag Menschen auf ihren letzten Lebenstagen

begleiten, dann relativieren sich die Aufregungen des Lebens von selbst.

Glauben Sie mir, Sie sind jung, Sie sind verletzt…

 

 

Monique: „Halten Sie mich nicht zum Narren mit ihrem moralischen Märchen ….

 

 

Ich: „Ich glaube, ich muss mich hier einmischen.

Ich habe sie hierher geträumt,

um sie alle kennenzulernen in ihrer jeweiligen Zeit und ihren Umständen.

Wir sollten uns gegenseitig respektieren auch in unserer Unvollkommenheit ,

in unserer Verletzlichkeit. ..

 

 

Martha: „Wie reden die Menschen heute miteinander? Ich kann das überhaupt nicht verstehen..“

Martina: „Wir sollten vielleicht versuchen mehr Verständnis füreinander aufzubringen.

Ich glaube auch nicht, aber ich finde Marthes aufopferungsvolle Arbeit kann man nicht hoch genug einschätzen – ihre Bereitschaft, Menschen in den Tod zu begleiten, ist nicht einfach –

dazu braucht es Mut und Standfestigkeit und wenn sie glaubt, die bei Gott zu finden, dann geht uns das nichts an, jedenfalls nicht so, dass wir darüber räsonieren dürften.

Monika: „Das ist genau, wovor ich mich fürchte, weil irgendwann wird unsere Oma auch Hilfe brauchen und was dann?.. -  Ich darf gar nicht  daran denken.

Monique: „Frau Marthe, ich wollte mich entschuldigen. ... Für das, was ich nicht geschafft habe. ... Für das, was ich nicht war. ... Für das, was ich nicht wollte.

Aber ich merke: Sprache ist die verlogenste Angelegenheit der Welt.

Marthe:   „Ich weiß, mein Kind, du bist  verbittert im Moment – das ist alles.

 

 

Ich: „Hingabe und die uneigennützige Liebe zum Anderen

ist uns durch die Zeiten offenbar ein Stück abhanden gekommen

oder sie wurde umverteilt

auf bestimmte dafür zuständige Berufsgruppen,

dafür haben wir Hetze, nicht ausreichende Zeitbudgets und andere Zumutungen

reichlich im Gepäck.

Meine Damen, ich bedanke mich für ihr Erscheinen, sie haben mir geholfen, die vergangenen Zeiten besser zu verstehen.

Leben sie wohl, wo immer sie auch sind.