Gullivers Reisen zwischen Berlin und Palermo
Splitter-Echo-Gliederung
1. Überfluß - Märkte Gerüche. Stimmen
2. Verführung - Schönheit, die zugleich Gefahr trägt
3. Verlust - das Wissen um Geschichte, Schattenseiten
Palermo - Überfluss
Echo: Die Stadt spricht im Sein
Neruda‑Echo: „Oh Palermo, du bist kein Ort, du bist ein Atem, ein Herzschlag aus Licht und Staub. Man lauscht dir nicht wie einer Stimme, sondern wie dem Meer, das einfach da ist, und doch jede Welle neu schenkt.“
I.
Splitter – Straße und Hotel
Strasse
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Rechts die Gasse hinunter: ein Fahrradladen, ein Restaurant, ein kleiner Supermarkt.
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Links die Gasse hinunter: ein E‑Zigarettenladen, ein Blumengeschäft, ein Gemüseladen mit großen blauen und rosafarbenen Pflaumen, Esskastanien, Cedro, Melonen, Zwiebelzöpfen, Knoblauch.
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Vor dem Gemüseladen: ein kleiner LKW, beladen mit Früchten und Zöpfen. Der Fahrer – rund, dick, meist schlafend auf einem Stuhl. Aber wenn du vorbeigehst, ist er da.
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Daneben: Autowerkstatt, Bushaltestelle.
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Seitengassen: bis zu den Ausläufern der Berge mehrstöckige Wohnhäuser, dicht, roh, wie Schichten einer Stadt, die sich stapeln.
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Auf der anderen Straßenseite: wenige Häuser, ein Grünstreifen bis zum Meer, der abrupt endet – Abbruchkante, Schwemmholz, Steine, Schutz vor Sturm.
Splitter-Fundstück
Gudrun: „Nimmst du ab?“ - „Ich
nehme ab .“
Hotel
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Gebaut in den 90ern, 250 Zimmer, 12 Suiten. Überdimensioniert für die Gegend, aber mit Plan: Arbeitsplätze schaffen.
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Immer ausgelastet, besonders am Wochenende, wenn Italiener ihre Küste genießen.
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Ein eigener Kosmos: Tresen, Köche, Barkeeper, Zimmermädchen, Wäscherei, Gärtnerei, Monteure, Lieferanten. Neben dem kleinen Hafen einer der großen Arbeitgeber.
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Das Personal unermüdlich: ein Kissen mehr, eine Decke für die kühlen Abende.
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Oben, in der 14. Etage: der Frühstückssalon, mit Blick aufs Meer und auf der Rückseite in die Berge, wo Dörfer wie Schwalbennester kleben.
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Ein Panorama, unvergleichlich, luftig, weit, endgültig.
Splitter: "Ein eigner Kosmos, unermüdlich."
Zeitzeichen: So stehen sie nebeneinander: Straße und Hotel
II.
Szene: Kleiner Supermarkt in Palermo
Gulliver: „Der Eingang war so unscheinbar, dass ich ihn fast übersehen hätte.
Doch innen fand ich mich in einem Labyrinth von engen Gängen,
die bis zur Decke mit Waren gefüllt waren.
Ein Meer von Dingen, das mich gleichermaßen verwirrte und beeindruckte:
Pulver zum Waschen, Pfannen zum Grillen,
Zünder für Gas, Batterien,
Mittel für Haar und Zähne,
Speisen in Tüten und Truhen.
Ich staunte, dass in einem so kleinen Raum ein ganzer Kosmos verborgen lag.
Und doch – das eine, was ich begehrte,
ein Mittel, das das Haar ohne Wasser reinigt,
fehlte gänzlich. Welch Ironie: alles da, nur nicht das, was ich suchte.“
(Pause – Atemzeichen)
Splitter‑Stimme (Gudrun): Kleiner Supermarkt. Unscheinbar der Eingang.
Die Gänge eng, die Ware hochgestapelt in Regalen.
Vielleicht nichts, was es nicht doch gibt:
Waschpulver, Grillpfannen, Gasanzünder,
Batterien, Duschgel, Haarwäsche, Zahncreme, Tampons.
Ein schieres Meer von Waren aller Art:
Kekse und Kleingebäck in Tüten,
Obst und Gemüse in Kisten,
abgepacktes Fleisch in Tiefkühlschränken,
Getränke, Öle, Antipasti, frische marinierte Oliven.
Unglaublich, welche Ausmaße der Laden im hinteren Raum annimmt.
Ganz am Ende ein richtiger Fleischstand mit Frischfleisch und Wurst.
Aber das, was ich brauchte, gab es nicht:
„I want to wash my hair without water.“
Trockenshampoo – Fehlanzeige. Sonst: alles da.
Splitter: „Alles da – nur nicht das, was ich
suchte.“
(Pause – Atemzeichen)
Neruda‑Echo:
„Oh kleiner Supermarkt, du bist kein Laden,
du bist ein Universum aus Dingen.
Du stapelst die Welt in engen Gängen,
du zeigst uns Fülle, und zugleich das Fehlen.
Alles da – und doch fehlt das eine,
das uns lächeln lässt über die Ironie des Überflusses.“
III.
Splitter Palermo
Die Straße still, der Wind unruhig.
Ein Atemzug – und die Luft ist geschwängert.
Meer und Fisch, unverkennbar, mal stärker, mal schwächer, je nach Richtung.
Unsichtbare Wellen, die durch die Stadt ziehen,
legen sich auf Haut und Kleidung, dringen in die Erinnerung.
Für manche: laut, dreckig.
Für andere: das Zeichen der Nähe, die Gewissheit, dass das Meer immer da ist,
auch wenn man es nicht sieht.
IV.
Szene: Die Katze im Fischrestaurant
Gulliver: „Unter den Tischen dieser Tavernen fand ich ein sonderbares Schauspiel: eine Katze, die sich niedergelegt hatte, als wäre sie Herrin des Hauses.
Ein junger Mann, von unverständlicher Neigung getrieben, versuchte sie zu streicheln – doch das Tier zeigte eine Miene, als sei es beleidigt, dass man seine königliche Ruhe störte.
Ich wunderte mich, dass in diesen Ländern selbst die Katzen eine solche Würde beanspruchen.“
(Pause – Atemzeichen)
Splitter‑Stimme (Gudrun): Am Rand einer Holzbank schläft zufrieden die Hauskatze.
Sie ist nicht amüsiert, dass ein junger Mann sie unbedingt jetzt streicheln will.
Gelassenheit, die sich nicht stören lässt.
Splitter: „Sie ist nicht amüsiert, dass man sie
stört.“
(Pause – Atemzeichen)
Neruda‑Echo:
„Oh Katze von Palermo,
du bist kein Haustier,
du bist die Königin der Ruhe.
Dein Schlaf ist ein Gesetz,
dein Widerstand ein Lied, das uns lehrt:
Gelassenheit ist auch eine Form von Macht.“
V.
Szene: Frühstück im Hotelsalon
Gulliver: „Ich fand mich in einem Saal, wo die Gäste sich selbst bedienten,
eine Sitte, die mir höchst sonderbar vorkam.
Ein Gerät, das auf Knopfdruck Milchkaffee bereitete,
und zwar von solcher Köstlichkeit,
dass ich mich fragte, ob hier die Maschinen besser kochen als die Menschen.
Unter großen Hauben lagen Speisen in solcher Fülle,
dass ich meinte, in einem Königshof zu sein:
Croissants gefüllt, Kuchen und Tartes,
Wurstsorten, Teigtaschen, Brote, Eier, Müslis –
ein Übermaß, das mich gleichermaßen erfreute und befremdete.“
(Pause – Atemzeichen)
Splitter‑Stimme (Gudrun): Frühstück als Selbstbedienung.
Der Kaffeeautomat ist das Beste am Morgen –
er bereitet einen köstlichen Milchkaffee,
unerreicht bei anderen Versuchen auswärts.
Eine Fülle von Speisen unter großen Hauben:
Croissants in allen Varianten, Kuchen und Tartes,
Wurstsorten, Teigtaschen, Brotsorten,
Pfannen mit Rührei und Schinken, gekochte Eier,
Müslis, Butter, Marmeladen.
Es ist jeden Morgen ein Fest zum Schlemmen mit Ausblick aufs Meer. Luxus.
Splitter: „Jeden Morgen ein Fest zum
Schlemmen.“
(Pause – Atemzeichen)