Tonspuratlas

 

Das ist kein Archiv.

Dies ist ein Tonraum.

 

Du musst nichts sagen -

aber du darfst hören.

 

Die Stimmen hier widersprechen sich nicht.

Sie sichern sich gegenseitig.

Manchmal durch Sprache.

Manchmal durch Schweigen.

Tonspur: Emil und die Kollegen – Zwischen Anleger und Werkhalle

 

 

A r b e i t e n :

 

 

Der Schiffanleger – das Entladen

 

Hier ist der Klang noch rhythmisch, fast beruhigend.

Metall auf Holz:

Kisten werden gestapelt, rutschen, krachen.

 Rufe über Wasser:

„Langsam!“, „Noch zwei Paletten!“ – Stimmen, die sich im Nebel verlieren. 

Kettenzug und Seilrollen:

ein mechanisches Schnarren, das wie ein Atem wirkt.

 Geruchsklang:

Teer, Salz, Eisen – nicht hörbar, aber präsent im inneren Ohr.

 

Gefahrstoffe in fester Form: Sie knacken, splittern, aber sie schreien nicht.

 

 

 

 W E R K H A L L E

 

 

Zischen, Blubbern, Kreischen.

Die Säuren sind nicht still.   

 

Schritte auf Metallgitter:

Vorsichtig. Tastend.

der Boden misstrauet sich selbst. 

 

Ventile, die pfeifen:

ein schrilles Signal,

das nie ganz aufhört

 

"Maske sitzt?" - "Check."

Aber hör trotzdem.

Vertrauen ist kein Filter.

 

 

Ein Alarm, der nie ganz aus ist.

Nicht laut.

aber immer da.

 wie ein Tinnitus der Industrie.

 

Der Raum klingt

wie eine Drohung,

die sich noch nicht erfüllt hat.

 

 

 

Warnsystem I  -  Geruch vor Sicht

Wenn's riecht, ist es zu spät

Geh nicht näher.

Warte, bis die Leitung still ist.

Frag nicht - horch.

Warnsystem II - der Boden spricht zuerst

Wenn der Boden knackt, halt an.

Da ist kein Schritt mehr.

Das ist ein Zeichen.

Geh zurück, bevor du fällst.

Warnsystem III - Maske ist keine Garantie

Maske sitzt - Check.

Aber hör trotzdem.

Die Säure geht durch, wenn sie will.

Vertrauen ist kein Filter.

Warnsystem IV - Sprache als Sicherung

"Nicht kippen - Säure".

Sag es, auch wenn du denkst, sie wissen's.

Wiederholen ist Rettung.

Schweigen ist Risiko.

 

 

 

 

 

Die Kollegen – ihre Stimmen

 

Emil: ruhig, aber mit einem Unterton von Müdigkeit. „Wenn du das Zeug einmal auf der Haut hattest, vergisst du’s nie. “Der Kollege aus dem dritten Schichtblock: „Ich hör die Säure, bevor ich sie seh.“  Der Schuster im Hinterhof (später, beim Feierabendbier): „Die kommen heim und riechen nach Krieg, obwohl keiner gefallen ist.“

Sprachrhythmus: Kurze, abgehackte Sätze. Oft nur ein Wort, ein Blick, ein Ton. Satzfragmente, die im Raum hängen, weil der Sinn längst angekommen ist

 

Beispielhafte Dialogsplitter:

„Achtung – heiß.“ 

„Zwei links – reicht.“ 

„Deckel drauf – gleich.“ 

„Nicht kippen – Säure.“ 

„Du hast’s?“ – „Hab’s.“ 

„Pause?“ – „Noch nicht.“ 

„Maske sitzt?“ – „Check.“ 

„Riecht’s?“ – „Noch nicht.“ 

„Paul war gestern…“ – „Ich weiß.“

 

(Stille. Dann nur das Zischen der Leitung.)

 

Tonlage: Gedämpft, aber klar Keine Emotion, aber viel Bedeutung. Die Stimme ist Werkzeug, nicht Ausdruck

 

Atmosphäre: Jeder Satz ist ein Sicherheitsnetz. Das Schweigen dazwischen ist nicht leer – es ist voller Aufmerksamkeit-

Die Sprache ist wie ein Morsecode der Fürsorge

 

Cecilie steht am Ufer. Sie sieht nicht alles. Aber sie hört.

                                                               Ich sitze warm, ja – 

                                                                aber ich höre, wie die Luft hier arbeitet. 

                                                                 Wie die Stimmen sich gegenseitig sichern. 

                                                                 Das ist nicht mein Kontor. 

                                                                 Das ist ein anderes Denken

 

 

 

 

„Aber ich sag nichts. Weil ich nicht gefragt wurde.“

 

Die Leitung pfeift anders. Ich weiß das. Ich hör das

Aber ich sag nichts. Weil ich nicht gefragt werde.

 

 

Das leise Surren der E-Maschinen

 

„Ich hab nicht viel gesagt. Ich hab gemacht. Immer gemacht.

Und wenn was nicht ging, dann ging’s halt trotzdem. 

 

 

 

 

 

das einsame Klingeln eines Telefons, das niemand abnimmt  

 

„Ich bin nicht ausgefallen. Ich bin ausgestiegen.“

 

 

 

 

 

 

 

V e r l i e r e n:

 

 

Ort: Seitenflügel, 4. Stock, gegenüber Klemkes Wohnung Zeit: 6:15 Uhr, kurz nach dem Schichtpfeifen Klangbild:

Husten, erst dumpf, dann heftig. Ein Fenster, das geöffnet wird – knarrend, zögerlich. Schritte auf Dielen, langsam, tastend.

Ein leises Murmeln, fast wie ein Selbstgespräch

 

Liese am Morgen

„Schon wieder…“ 

 

„Die Luft… wie Blei.“ 

 

Ich weiß, wenn die Luft schwer wird. Ich

sag's nicht. Ich geh einfach."

 

„Klemke? Noch nicht wach.“ 

 

„Ich hör sie… die Loren…“ 

 

„Wenn ich… wenn ich nur einmal…“ 

(Stille. Dann ein Husten, der alles überlagert.)

 

Tonlage: Brüchig, aber nicht gebrochen. Die Stimme ist wie ein Fenster: offen, aber nicht weit. Das Husten ist nicht nur körperlich – es ist Widerstand, Erinnerung, Warnung.

 

Atmosphäre: 

Liese spricht nicht laut, aber sie wird gehört. Ihre Stimme antwortet auf den Tag – nicht auf die Menschen.

 

 

 

 

"Liese war da. Seitenflügel, 4. Stock."

 

 

 

 

Mutter Klemkes Haus 3. Hinterhof - kein Ort, aber sie kommen.

 

"Ich dachte, ich hörte sie. Die Suppenkelle. Das Lachen. Das leise Schimpfen über zu wenig Salz."

"Aber es war nur das Zischen der Leitung."

 

Emil: - schweigsam, aber grundlegend, Er sagt wenig, aber wenn, dann mit Gewicht.

 

Mutter Klemke - nicht laut, aber wach. Sie kennt die Namen der Kinder, die Geräusche der Rohre, die Geschichte der Tapete.

 

Die neue Leitung, die pfeift - "ist das normal?"

 

Der Schuster - Feierabendbier in der Hand, aber die Stimme riecht nach Krieg.

 

Die Geräusche, die sich verändert haben - "Früher hat's anders geklungen."

 

Cecilie - sie kommt nicht rein, aber steht im Flur. Vielleicht schreibt sie später einen Text.

 

Liese - nicht mehr da, aber spürbar. Vielleicht ein leerer Stuhl, vielleicht ein Satz, den niemand sagt.

 

Der Kollege aus dem dritten Schichtblock - er hört die Säure, bevor er sie sieht. Vielleicht hört er auch die Stimmung kippen.

 

Die Frage, ob Paul noch kommt - "Er war gestern ..." - "Ich weiß."

 

Ein Unbekannter - vielleicht neu, vielleicht vergessen. Vielleicht fragt er: "Was kostet die Kohle jetzt?"

 

 

 

 

 

 

Z E R R E I ß E N  :

 

 

 

das rhythmische Klappern der Tastatur

(Manche Stimmen hören das Klappern - und antworten mit Rückzug.)

 

 

 

das digitale „Pling“

von Benachrichtigungen, 

die nicht gelesen werden.

 

"I c h   h a b   a l l e s   r i c h t i g   g e m a c h t.

A b e r   i c h   h ö r   n i c h t s   z u r ü c k ."

 

 

das Summen von LED-Röhren

(hell aber nicht freundlich)

 

"Ich hab den Zettel geschrieben,.

Aber ich weiß nicht, ob ich ihn abgebe."

 

 

Zwischen Hoffnung und Resignation

ist kein Übergang.

Nur ein Riss. 

 

 

S e h r   g e e h r t e   D a m e n   u n d   H e r r e n..."

(Pause) 

"I c h   w e i ß   n i c h t ."

 

 

Das Piepen von Zugangskontrollen

 

„Mama sagt, sie muss.

Aber ich glaub, sie will nicht mehr.“

 

 

das Rauschen von Lüftungsanlagen

wie ein Atem,

der nicht mehr weiß. wohin er gehört.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

A U S H A L T E N :

 

.

Mertens:

„Ich frage nicht nach Daten.

Ich frage nach Beziehung.“

 

 

 

 

(Pause)

 

 

 

 

Eine Stimme aus dem Grenzcontainer:

„Sie sagen, wir brauchen Fachkräfte.

Aber wenn ich komme, bin ich Problem.

Nicht Lösung.

Nicht Mensch.

Nur Statistik.“

 

 

 

 

 

(Pause)

 

 

 

 

 

Eine Stimme aus der Bewegung:

"Ich mag diese Stadt.

Sie erinnert mich an meine Herkunft.

Sie ist immer in Bewegung.

Mit Menschen.

mit vollgestopften Straßen.

And you can find everywhere people speaking english.

 

 

 

 

 

(Pause)  

 

 

 

und vielleicht:

das Schweigen

zwischen all dem.

 

Nicht leer.

Nicht laut. 

Aber da.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Du hast gehört.


Vielleicht zu viel.


Vielleicht zu wenig.

 

Was bleibt?
Ein Ton?
Ein Satz?
Ein Riss?

 

Du musst nichts sagen.


Aber du darfst horchen – 

auf dich.