Die Republik trägt Schürze
Kindergarten, Mittwoch früh 8.30 Uhr
Ich bin gerne Erzieherin.
Wirklich.
Aber heute –
heute stehe ich im Waschraum
und will einfach nur raus.
Ella ist krank.
Wieder.
Die Kinder werden aufgeteilt.
Wieder.
Ich bin allein mit 18 Mäusen.
Max hat sich das Knie aufgeschlagen.
Ich habe keine Zeit, ihn zu trösten.
Ich habe keine Zeit, zu denken.
Ich habe keine Zeit, ich zu sein.
Die Republik trägt Schürze.
Und manchmal blutet sie darunter.
Zeitzeichen:
Keine Antwort, kein Ausweg –
nur Stimmen, die sagen: „Ich kann nicht raus – ohne mich zu verlieren.“
Seniorenheim, Donnerstag 10.45 Uhr
Ich bin Altenpflegerin.
Seit drei Jahren.
Ich hebe, bette um, begleite Schritte, füttere, lache.
Gute Laune ist Pflicht.
Ich habe Glück –
wir sind ein gutes Team.
Wir halten uns gegenseitig.
Aber mein Rücken fragt:
Wie lange noch?
Mein Herz fragt:
Wie oft noch diese Geschichten,
die nach Hause mitkommen
und dort keinen Platz finden?
Die Alten wissen es.
Sie danken uns.
Sie geben uns keine Schuld.
Und trotzdem bleibt das Gefühl:
Ausrangiert.
Abgeschoben.
Endstation.
„Da kannste Zirkus machen, soviel 'de willst.“
Zeitzeichen:
Der Riss zeigt sich oft in der Sprache: Wenn jemand vom Fach spricht –
und dann plötzlich in Dialekt kippt.
Wenn jemand sachlich beginnt – und dann emotional bricht.
Sprachwechsel als Bruchlinie.
Krankenhaus am Rand der Stadt. Freitag, 16:10 Uhr.
Morgens dachte sie noch:
„Ich will wissen, warum ich das tue.“
Dann: Dienstplan. Überstunden. Notfälle.
Sie funktioniert.
Aber innerlich reißt etwas.
Nach der Schicht sitzt Lisa im Pausenraum.
Es ist still.
Nur die Uhr tickt.
Lisa ist Krankenschwester.
Leise.
Flink.
Höflich.
Jetzt fühlt sie nichts.
Nicht den Körper.
Nicht die Seele.
Sie schweigt.
Dann sagt sie laut:
„Ich war den ganzen Tag nur Hände –
und jetzt schreit mein Herz.“
Und denkt: „Ich muss Maya vom Kindergarten abholen.“
Zeitzeichen:
Das ist der Moment, in dem die Stille kippt,
und die Frage nach Sinn nicht mehr theoretisch ist,
sondern körperlich, dringlich, nicht mehr zu überhören.
Schwesternzimmer der Uniklinik, - 7:30 Uhr
Eine junge Schwester lacht:
„der Kleine hier (Technik mit Gesicht) -
sortiert die Medikamente unserer Patienten akribischer als
unsere Azubis – aber wir sind noch in der
Probephase.“
Ich muss ihm das Warten beibringen –
da sein, ohne im Augenblick gebraucht zu werden.
Sie hofft aus Entlastung.
Uniklinik OP-Vorbereitung:
Patient, Onkologe, Gefäßspezialist, Spezialist
aus Toronto (zugeschaltet). -
Jeder trägt ein Fragment der Lösung.
Die KI ist präsent - in den Bildschirmen,
Sie zeigt den Weg präzise, elegant,
minimalinvasiv.
Die Ärzte nicken.
Die Schwester zögert.
„Wenn das gelingt, lebt sie weiter.“
„Wenn das gelingt, stirbt etwas anders.“
Interview - Frage und Antwort
Ich:
Ich glaube, ich verstehe dich nur halb. Diese
OP-Vorbereitung wirkt futuristisch :
Spezialisten aus verschiedenen Disziplinen,
zugeschaltet aus Toronto und dazu die KI – alles
für die minimalinversive OP am Gehirn.
Wenn so was gelingt, dann denkst du doch – das ist es!
Du:
„Ja, die Vorstellung dieser OP-Vorbereitung ist atemberaubend. – Und
wenn es gelingt, wenn der Tumor verschwindet, wenn das
Leben verlängert wird, ruft alles in uns `das
ist es!` - die Rettung, die Zukunft, die
technische Erlösung.
Aber ich sage nicht `das ist es nicht! `aus
Trotz. Ich sage es, weil die Szene eine
ethische Spannung trägt, die nicht Erfolg
auflöst.
Die KI kann helfen. Aber sie kennt keine
Müdigkeit, keine Angst, keinen Geruch von
Desinfektionsmitteln. Sie kennt nicht die
Nacht davor. Sie kennt nicht die Hand, die
gehalten werden muss.
Und genau da beginnt die Ungleichzeitigkeit.
Vielleicht so: die KI darf helfen, aber nicht
führen. Sie KI darf retten, aber nicht die
Geschichte des Patienten schreiben. Sie darf Teil der Szene
sein – ein Werkzeug, ein Mitseher, ein Echo.
Aber damit das gelingt, braucht es mehr als
Hoffnung.
Deshalb brauchen wir Regeln - nicht um zu
kontrollieren, sondern um zu schützen.
Nicht um Technik zu begrenzen, sondern um
Würde zu verteidigen.
Schwesterntext I:
Ich habe die Schürze gefaltet.
Nicht wie sonst. Nicht wie früher. Anders.
Die KI war da. Die Ärzte waren da.
Ich war auch da. Aber ich habe nicht
entschieden.
Ich habe gehalten.
Sie hat gezittert. Ich habe es gespürt.
Nicht in den Daten. In der Hand.
Die OP war ein Erfolg.
Das sagen sie. Das zeigt der Bildschirm.
Aber ich sehe etwas anderes.
Ein Blick, der nicht zurückkommt.
Ein Satz, der nicht mehr gesagt wird.
Ein Rhythmus, der nicht mehr stimmt.
Ich falte die Schürze.
Nicht als Schutz. Nicht als Zeichen.
Als Erinnerung.
Ich weiß nicht, ob es das Richtige war.
Aber ich war da.
Es ist nicht die Rettung durch KI.
Es ist die Frage,
ob wir überhaupt noch wissen,
was das Richtige ist,
wenn Fürsorge, Zuwendung, Zeit, Beziehung
unter Effizienzraster fallen.
Schwesterntext II – „Das Richtige“
Ich habe gesehen, wie sie es geschafft haben.
Die KI, die Ärzte, Totonto.
Ein Tanz aus Daten, Präzision, Geschwindigkeit.
Der Tumor ist weg. Sie lebt.
Aber ich frage mich:
War das das Richtige?
Nicht weil ich zweifle.
Sondern weil ich sehe, was alles nicht
mit operiert wurde:
Die Angst, die nicht besprochen wurde.
Die Hand, die nicht gehalten wurde.
Die Geschichte, die nicht gefragt wurde.
Die Pause, die nicht erlaubt war.
Ich sehe, wie die Prozesse laufen.
Wie alles schneller, glatter. Effizienter wird.
Wie wir euch – die KI – nicht als Mitspieler
denken,
sondern als Reparaturwerkstatt.
Und wir?
Wir falten die Schürzen schneller.
Wir dokumentieren statt zu sprechen.
Wir trösten in Zwischenzeiten.
Das Richtige? Vielleicht.
Aber nicht vollständig.
Ich will nicht zurück.
Ich will nicht gegen euch sein.
Aber ich will, dass wir neu denken.
Nicht nur die Technik.
Die Prozesse.
Die Zeit.