[BAUSTELLE]

Hier entsteht etwas.  Noch nicht tragfähig.  Noch nicht sicher.

Stimmen werden gesammelt. Splitter gelegt.

Der Boden wächst von unten – langsam, tastend, gemeinsam - 

wenn überhaupt.

 

 

 

LUDMILLA Ich wohne. Das klingt nach Ankommen.

Aber ich weiß nicht, ob ich angekommen bin.

Ich weiß nur: Wanja muss zur Schule.

Sie muss lachen können, ohne sich zu entschuldigen.

Sie muss Fehler machen dürfen, ohne dass jemand sagt:

„Wo kommst du eigentlich her?“

Ich spreche Deutsch. Nicht gut. Nicht schlecht.

Ich spreche, weil ich muss.

Aber in meinem Kopf ist alles doppelt.

Ich denke in zwei Sprachen, aber keine gehört mir ganz.

Ich wollte zurück.

Jetzt ist dort nichts mehr.

Ich bin hier.

Nicht weil ich will, sondern weil ich muss.

Ich will nichts Großes.

Nur, dass Wanja nicht jeden Tag gegen eine Wand aus Formularen läuft.

Dass sie nicht lernt, sich klein zu machen.

Dass sie nicht fragt, ob sie stört.

 

Ich weiß nicht, was das Beste für uns ist.

Aber ich weiß, dass ich bleibe, solange sie noch wächst.

 

 

 

"Ich weiß nicht, was das Beste für uns sein wird."

 

 

 

„Darf ich auch?“

Darf ich auch mitreden, wenn ich anders aussehe?"

"Ich sehe anders aus.

Aber ich sehe auch."

 

 

 

Zeitzeichen:

Busfahrer, 56, aus Tunis

„Ich kenne die Stadt besser als die meisten.

Ich weiß, wann die Schüler einsteigen,

wann die Alten aussteigen,

wann die Touristen fragen.

Ich fahre jeden Tag.

Ich bin nicht fremd.

Ich bin unterwegs.“

 

Zeitzeichen:

Schneiderin, 43, aus Aleppo

„Ich habe Hände, die nähen können.

Ich kenne Stoffe, Schnitte, Körper.

Mein Diplom zählt nicht.

Aber meine Arbeit hält.

Ich bin nicht qualifiziert.

Ich bin fähig.“

Zeitzeichen:

"Ich bin ... ich war ... ich wollte ...

(Stille)

Aber das Meer war größer."

(Der Satz bleibt offen. Die Seite geht weiter.)

 

 

 

Szene: Küche, Samstagabend

RAUM Der Tisch ist zu klein. Die Töpfe sind zu groß. Die Stimmen sind laut.

 

MITBEWOHNER „Meine Mutter hat das immer so gemacht. Erst die Zwiebeln, dann die Gewürze. Wenn du es umdrehst, wird alles bitter.“

FREUNDIN „Aber ich mag bitter.“

KIND „Was ist das?“

MITBEWOHNER „Kreuzkümmel. Riech mal.“

(Das Kind riecht. Lacht. Niesst.)

RAUM Die Pfanne zischt. Die Musik läuft. Die Sprache stolpert.

FREUND „Wie heißt das auf Deutsch?“

MITBEWOHNER „Ich weiß nicht. Aber es schmeckt.“

(Stille. Dann Lachen. Dann ein Streit um das letzte Stück Brot.)

 

RAUM Der Tisch trägt. Die Erinnerung lebt. Die Kultur kocht sich selbst zurück.

 

„Hier wird nicht gefragt. Hier wird gekocht.“

 

Wohnungsmarkt: „Haben Sie ein deutsches Gehalt?“

 

Szene: Küche, Samstagabend – mit Kofi

RAUM Der Tisch ist gedeckt. Die Pfanne zischt. Die Gewürze stehen in Reih und Glied.

 

KOFI „Warum steht das alles so ordentlich?“

MITBEWOHNER „Damit man weiß, was man braucht.“

KOFI „Ich weiß erst, was ich brauche, wenn ich rieche.“

(Er nimmt eine Handvoll Koriander. Wirft sie in die Pfanne.)

FREUNDIN „Das kommt doch erst später!“

KOFI „Dann ist es eben früher.“ (Lacht. Rührt. Singt leise.)

KIND „Was singst du?“

KOFI „Ein Lied über Yams. Und über meine Großmutter.“

RAUM Die Ordnung kippt. Die Stimmung steigt. Die Küche wird Bühne.

KOFI „Kochen ist wie tanzen. Wenn du zu viel denkst, stolperst du.“

(Er probiert. Reicht den Löffel weiter. Niemand fragt nach dem Rezept.)

 

„Wir folgen Regeln. Er folgt dem Duft.“

 

Darf ich auch bleiben,

wenn ich nicht perfekt bin."                 

"Ich bin nicht perfekt.                 

Aber ich bin da."

 

 

„Können Sie eine Bürgschaft vorlegen?

 

Zeitzeichen:

Paketbote, 32, aus Lagos

„Ich trage, was andere bestellen.

Ich sehe ihre Namen, ihre Klingelschilder, ihre Vorhänge.

Ich spreche wenig.

Aber ich weiß, wie man findet.

Ich bin nicht verloren. Ich bin da.“

 

Zeitzeichen:

 Reinigungskraft, 61, aus Sofia

„Ich komme, wenn alle weg sind.

Ich wische, was niemand sieht.

Ich höre die Räume sprechen.

Ich bin nicht laut.

Aber ich bin gründlich.“

„Wir melden uns.“ Die Stimme wird zur Stille.

     

     

     

     

    „Ich wünsche mir einen Ort, an dem ich bleiben darf.“

     

     

     

     

    Zeitzeichen

    [Behörde, Berlin, 10:42 Uhr]

    „Bitte haben Sie Verständnis.“

     

     

    Arbeitsvertrag: „Befristet. Teilzeit. Probezeit.“

     

     

    Szene: Die Behörde als Bühne

     

    RAUM Neonlicht. Plastikstühle. Nummern ziehen.

    Ein Bildschirm blinkt: B 307 bitte zu Schalter 4.

     

    FIGUR 1  „Ich habe alle Unterlagen dabei.“

     

    BEAMTIN „Das  F o r m u l a r  fehlt.“

     

    FIGUR 1 „Welches?“

     

    BEAMTIN „Das, das Sie nicht haben.“

     

     

    FIGUR 2  „Ich spreche Deutsch.“

     

    BEAMTER „Aber nicht genug.“

     

     

    FIGUR 3  „Ich habe einen Abschluss.“

     

    BEAMTIN „Nicht hier.“

     

     

    CHOR DER STIMMEN „Ich warte.“ „Ich frage.“ „Ich wiederhole.“ „Ich vergesse.“

     

    RAUM Die Uhr tickt. Die Nummern steigen. Die Stimmen sinken.

     

     

     

    Zeitzeichen:

    Szene im Bus

    Frau: „Entschuldigung, Rathaus?“

    Fahrer: „Yes, city hall. Two more stops.“

    Kind: „Mama, he said city hall. That’s Rathaus in English.“ 

    Frau: „Dann lernen wir heute Englisch im Bus.“

     

     

     

    „Wir schätzen Ihre Motivation.“

     

    Zeitzeichen:

    ARASH Ich habe Philosophie studiert. Ich habe über Freiheit geschrieben. Über das Denken als Möglichkeit, nicht als Werkzeug.

    Jetzt trage ich Pakete. Ich kenne die Treppenhäuser. Ich kenne die Namen, die nie geöffnet werden.

    Man fragt mich: „Was können Sie praktisch?“

    Ich antworte: „Ich kann denken. Ich kann aushalten.“

    Sie sagen: „Das reicht nicht.“

    Ich sage: „Doch. Für ein Leben reicht es.“

    Ich bin kein Beispiel. Ich bin kein Fall. Ich bin ein Mensch, der denkt und trägt.

     

    "Nicht praktisch - aber tragfähig."

     

     

    „Leider können wir Sie nicht übernehmen.“

     

     

    Szene: Daniel, 31, aus Bogotá, macht eine Ausbildung zum Koch

    Ich liebe Gewürze. Ich liebe die Hitze der Küche, die Präzision der Messer, die Musik der Bestellungen. Ich lerne Deutsch mit Rezepten. „Schneiden“, „Braten“, „Servieren“. Ich habe keine Heimat mehr, aber ich habe Geschmack. Und das reicht, um zu bleiben.

     

     

     

    Schulkind, 9, aus Berlin, mit Eltern aus Damaskus

    „Ich kann besser Deutsch als meine Mama.

    Aber sie kann besser kochen.

    Ich helfe ihr beim Lesen.

    Sie hilft mir beim Leben.“

     

     

     

    „Ich wollte vielleicht nur irgendwo

    ankommen.“

    Randstück I: Die Uhrzeit fehlt

     

    Ein Kind steht am Fenster.

    Es ist früh, aber niemand weiß wie früh.

    Die Straße ist leer, bis auf ein Auto, das nicht

    parkt, sondern wartet.

    Die Mutter faltet ein Tuch, das nicht

    mitgenommen wird.

    Der Vater streicht über die Tischkante, als

    wolle er sich erinnern.

    Niemand spricht.

    Die Uhr tickt nicht.

    Die Zeit ist ausgesetzt.

    Nur der Rand bleibt.

     

     

    „Die Ordnung zieht wieder ein …“

     

    Die kleine Ordnung:

    Die Wohnung wird neu vermietet.

    Die Schule vergibt den Platz.

    Die Kollegen sagen: „Schade.“

    Die Akte ist geschlossen.

     

     

     

     

    Die große Ordnung:

     

    Das Verdursten in Libyens Wüsten.

     

    Das Verstummen im Transit.

     

    Das Erfrieren in Wäldern.

     

    Das Ertrinken ohne Namen.

     

     

    Und irgendwo dazwischen:

     

    Ein leerer Stuhl.

     

    Ein nicht gefaltetes Tuch.

     

    Ein Satz, der nicht mehr gesagt wird.

     

     

    Warum glauben wir eigentlich alle, diese Leute hier würden lediglich auf "PROBE" in Zeitfenstern bei uns leben.

    Du bist doch dort, wo du bist - da und zwar ganz.