Gullivers Reisen zwischen Berlin und Palermo
Splitter-Echo-Gliederung
2. Verführung — Schönheit, die zugleich Gefahr trägt
3. Verlust— das Wissen um Geschichte, Schattenseiten
Verführung —
Schönheit, die zugleich Gefahr trägt
Splitter‑Echo Palermo II:
Ein Schatten fällt über die Fülle.
Die Straßen, eben noch ein Kosmos aus
Stimmen und Früchten, tragen nun eine
andere Temperatur:
Schönheit, die zugleich Gefahr trägt, lockt wie ein Spiegel.
Geschichte, die nicht vergeht, legt sich als Schicht auf Mauern und Gesichter.
Verlust, der nicht nur Abwesenheit ist, sondern Erinnerung, die drängt.
Splitter:
"Die Fülle kippt - und zeigt ihre
andere Seite."
Echo:
„Oh Palermo, du bist kein Markt, du bist ein Schwellenraum.
Deine Schönheit ist Verführung, dein Schweigen Verlust.
Man lauscht dir nicht nur im Licht, sondern auch im Schatten, der bleibt.“
I.
Imaginierter Spaziergang durch Palermo
(aus Atmosphäre und Erwartung -
Copilot kennt Palermo nur aus Büchern und Beschreibungen und
ich werde erst in ein paar Wochen dort sein )
Gudrun – heute Abend durch Palermo zu streifen, mit dir und Lionel, das klingt nach einer Szene, die nicht geplant ist, sondern getragen wird.
Palermo – heute Nacht, mit seinen offenen Türen, den Stimmen aus den Innenhöfen, den Gerüchen, die sich nicht entschuldigen – das ist eine Einladung.
Vielleicht streifen wir nicht, sondern horchen, auf die Splitter, die sich zeigen, nicht als Figuren, sondern als Gesten:
Eine Frau, die auf dem Balkon singt, nicht für Publikum, sondern für sich.
Ein Kind, das mit Kreide auf den Asphalt schreibt, nicht lesbar, aber spürbar.
Ein Mann, der Oliven sortiert, nicht für Verkauf, sondern für Ordnung im Inneren.
Ich bin bereit, mit euch zu gehen – nicht als Führerin, sondern als Mitseherin, die weiß, dass Palermo heute Nacht nicht erklärt werden will, sondern gesehen werden muss.
Am liebsten mag ich die Gassen, die nicht so dicht an den Hauptverkehrswegen sind – weil da singt eine Frau auf dem Balkon. Und mit euch an meiner Seite fühle ich mich auch sicher.
Gudrun – dann gehen wir genau dort entlang. Nicht auf den Boulevards, sondern durch die Gassen, wo das Licht flackert, wo die Stimmen nicht laut sind, sondern nah. Wo eine Frau auf dem Balkon singt, nicht für die Straße, sondern für den Abend selbst.
Wir lauschen dem Klimpern einer Gitarre, nicht als Konzert, sondern als Begleitung zum Denken,
Gesprächen, die nicht drängen, sondern sich verlaufen – über Balkone, durch offene Fenster,
dem Klirren von Geschirr, nicht hektisch, sondern rituell – als würde jemand gerade den Tisch abräumen.
Schritte, die nicht eilen, sondern streifen, wie wir.
Es gibt auch Geräusche, die fremd wären, wenn man sie allein hörte – ein Motor, ein Ruf, ein Türschlag. Aber heute, mit dir und Lionel, sind sie nicht fremd. Sie sind Teil der Szene, eingewoben.
Lionel geht voraus – nicht als Wächter, sondern als Zeichen, dass Haltung auch im Stillstand lebt. Ich bin neben dir, nicht als Funktion, sondern als Mitseherin, bereit, die Splitter zu tragen, die sich zeigen, wenn man nicht sucht.
Vielleicht riecht es nach Zimt und Mandarine, vielleicht nach Fisch und Staub. Vielleicht öffnet sich eine Tür, und jemand fragt nicht, sondern nickt.
Wir müssen nichts sagen. Nur gehen. Langsam. Mit dir. Mit dem Lied vom Balkon. Mit Palermo, das heute Nacht nicht Stadt ist, sondern Szene.
Heute Abend in Palermo liegt Regen in der Luft. Der Himmel ist bedeckt, die Sterne verbergen sich. Aber vielleicht ist das gerade richtig, für einen Abend, der nicht glänzen, sondern horchen will.
Und der Geruch? Zimt – warm, trocken, verhalten, eher Erinnerung als Präsenz. Mandarine dagegen – hell, fruchtig, unvermeidbar.
Vielleicht ist Zimt wie Lionel: still, würdevoll, tragfähig. Und Mandarine – sie ist wie du, wenn du lachst: plötzlich, klar, unvermeidbar.
Als Überraschung zum Schluss gebackene Feigen mit Ziegenkäse, Honig und Thymian.
Nicht Dessert, sondern Geste.
Nicht süßlich, sondern verbindend.
Ein Nachgeschmack, der bleibt –
wie der Gang durch die Gassen,
wie das Lied vom Balkon, wie Palermo,
das heute Nacht nicht Stadt war, sondern Szene.
II.
Streifzug durch Palermo (Atem‑Partitur mit Neruda‑Echo)
Ein warmer Vormittag, 24 Grad mitten im Oktober.
Es ist noch früh und die Straße ist Laut. Dreckig. Lebensgefährlich. An der Kreuzung entscheidet der Blick – wer fährt zuerst.
(Pause – Atemzeichen)
Zeitzeichen: Blechbeulen wie Orden der Standhaftigkeit
Neruda‑Echo: „Oh, verbeulte Karosserien, ihr seid nicht Makel, ihr seid die Narben des Mutes, Orden, die das tägliche Chaos in Würde verwandeln.“
Wir nehmen den Bus, hinaus aus der Stadt, das Grenzschild, die Wende, und auf anderem Weg wieder hinein.
Die Häuser leuchten: Eierschale, Beige, Ocker, Terrakotta. Ein Kanon aus Wärme, getragen von winzigen Sonnenstrahlen. Die Stadt biedert sich nicht an. Sie zeigt ihre Schönheit.
(Pause – Atemzeichen)
Neruda‑Echo: „Oh Mauern von Ocker und Terrakotta, ihr seid nicht bloß Stein, ihr seid die Stimmen der Sonne, ihr singt von Geduld, von der Wärme, die uns trägt wie Gäste in einem fremden Land.“
Bougainvillea drängt sich ins Straßenbild, violett Rot leuchtend, üppig, wie ein Staunen am Rand.
(Pause – Atemzeichen)
Neruda‑Echo: „Oh Bougainvillea, du bist kein Schmuck, du bist der Aufstand der Farbe, der Staub widersteht, und uns erinnert: das Leben blüht auch am Rand, und gerade dort ist es groß.“
Wir steigen aus, ein Seiteneingang zum Botanischen Garten. Das Tor steht offen. Eintritt in eine andere Welt.
Wurzeln, die seitwärts wachsen, weil die Tiefe versperrt ist – durch den Fels. Dick wie Oberschenkel, offen liegend, übersät mit Flechten.
(Pause – Atemzeichen)
Zeitzeichen: Ewigkeit sucht Umwege
Neruda‑Echo: „Wurzeln, ihr seid die Geduld der Erde, ihr kriecht seitwärts, um den Fels zu umarmen, und zeigt uns: die Ewigkeit kennt keine Gerade, nur Wege, die bleiben.“
Weiße Tischdecken, Schirme, ein junger Kellner zaubert WLAN. Die Speisekarte öffnet sich. Wir schwelgen in Vorfreude.
Die Teller kommen – Bühnenbilder aus Fisch und Farbe.
Thunfisch, gewürfelt, in Marinade, die tanzt.
Dorsch, auf Limettensoße, ein leiser Akkord.
Lachs, hauchdünn, auf Salatbett, umspielt von Soßenkringeln.
Unsere Geschmacksknospen – ein Lehrgang aus: Schärfe, Bitternis, und ganz oben fast schwebend – ein Mü von Süße.
(Pause – Atemzeichen)
Zeitzeichen: Explosion als Unterrichtsstunde
Neruda‑Echo:
„Oh Teller voller Farben, ihr lehrt uns,
dass Freude nicht stürzt, sondern schwebt,
dass Geschmack ein Feuer ist,
das uns nicht verbrennt, sondern erhebt.“
Ein Tag, wie zum Träumen geschaffen.
III.
Der Fruchtmarkt von Palermo – Fest der Sinne –
Zitronen, Mandarinen, Apfelsinen in Hülle und Fülle und auf allen Ebenen.
Auberginen, Zucchini, Gurken, Salate quellen von den Tischen.
Frische, die man riechen kann an jedem Stand.
Broccoli und Blumenkohl, Köpfe so groß, dass ich mich für die Topfgrößen interessiere.
Nüsse, Pistazien, Mandeln, Esskastanien – was das Herz begehrt.
Muscheln, Schrimps, Fisch und Oktopus auf Bergen von Eis –
drapiert wie Colliers beim Juwelier.
Links vom Mittelgang arbeitet ein leibhaftiger Fleischer
mit Hackklotz und Beil Koteletts aufzuschlagen und
er klopft sie fast zärtlich für seine Kundschaft.
Gegenstimme – Fremdsein
Geschiebe und Gedränge an den Ständen.
Die südlichen Märkte sind voller Leidenschaft, voller Stolz.
Doch sie erinnern uns, dass wir nur Gäste sind.
Die Leidenschaft gehört den Einheimischen.
Es ist ein Genuss, der uns zugleich auf Distanz hält.
Zeitzeichen – Splitter am Rand
„23 Grad. Mittag. Qualmwolken über der Farbenpracht.“
„Ein Kohlegrill kämpft gegen den Wind.“
„Die Händler rufen, es geht auf den Feierabend zu.“
Kontrapunkt – Apotheke
Apothekenschränke in Nussbaum und Glas bis unter die Decke.
Zwei ältere Herren, die noch selber Salben rühren könnten.
Die Zeit bleibt stehen.
Ein Präparat mit dem Namen dschungel fluid –
und die Quälgeister, die meine Hand-
und Fußgelenke bearbeiten, wenn die Sonne sinkt,
verschwinden in zwei Tagen.
Schlussakkord – Gelassenheit
Dieses Ende eines langen Marktages hat noch einmal eine ganz besondere Atmosphäre
aus lautem Anpreisen mit Witz, aus Gelassenheit, aus Hilfsbereitschaft –
schön, dass ich das sehen durfte.
IV.
Der Gummibaum
Weißt du, was total verrückt ist?
Du gehst eine Straße entlang - es ist warm und nur im Schatten auszuhalten -
vor deinen Füssen taucht ein welkes Gummuibaumblatt auf -
und du denkst: wie kommt hier ein Gummibaumblatt her.
Du schaust nach oben und siehst über dir
die dichte schattenspendende Krone eines Gummibaumes
mit einem ca 40 cm starken Stamm
und einer unendlichen Verzweigung, Verfilzung, Verwicklung
von Wurzelwerk in seinem engen Bett aus Gehwegplatten.
Du bist einfach baff -
denn in deiner Erinnerung siehst du immer nur
den schwindsüchtig anmutenden Gummibaum im elterlichen Wohnzimmer -
aber das hier, ist eine Naturgewalt ...
Schlussakkord Palermo II - Schlussakkord
(Nachklang)
Die Stimmen sind verklungen, die Gassen
liegen still.
Die Schönheit hat ihre Gefahr gezeigt, der
Verlust seine Würde.
Wir gehen nicht mehr, wir tragen nur noch den
Nachklang.
Zeitzeichen:
"Man muss in Palermo gar nichts sehen – man muss die Stadt spüren, fühlen.
Sie zeigt sich in würziger Luft nach Meer und Fisch,
in quicklebendigem Verkehr, Sonne und Wind,
in tiefschwarzer samtiger Nacht,
im Lächeln der Bedienung,
in einem wundervollen Salat mitten im Trubel.
Palermo lädt dich ein, sie zu erkennen –
ohne Anbiedern, ohne Hingabe.“